Der Beitrag erschien im Mai 2021 als Praxistipp Datenschutz 06|2021 und wurde zuletzt überarbeitet am 11. Oktober 2023.
Archivordner mit Jahreszahlen auf dem Rücken sind ja durchaus nichts Ungewöhnliches. Normalerweise liegen die aufgedruckten Jahre allerdings in der Vergangenheit, nicht Jahre oder gar Jahrzehnte in der Zukunft. Dahinter steckt ein Archivsystem, das nicht das gängigste seiner Art sein mag, aber einen ganz eigenen Charme hat – und eine Menge Vorteile. Grund genug, es uns einmal genauer anzusehen.
In einer Klinik ist es mal wieder an der Zeit für eine Ortsbegehung durch den Datenschutzbeauftragten. Wir nehmen uns den Archivkeller vor. Dort lagern allerhand Akten, der Großteil Patientenakten. Alles wunderbar aufgeräumt! Das ist selten, umso angenehmer der Anblick. Die Leiterin des Archivs ist sichtlich erfreut. Wer wird nicht gerne vom Datenschutzbeauftragten gelobt?
Dann fallen mir zwei Dinge auf: Die Aktenordner haben in jedem Regal eine andere Farbe. Und: Auf dem Ordnerrücken steht neben dem Anfangsbuchstaben der enthaltenen Dokumente eine Jahreszahl. Diese Jahreszahl ist nicht etwa die aktuelle oder eine vergangene, sondern sie liegt in der Zukunft. Offenbar reichen sie bis zu zehn Jahre in die Zukunft. Archivordner aus Jahren, die noch gar nicht stattgefunden haben? Schließlich entdecke ich sogar Ordner, die noch weiter in die Zukunft weisen, um genau zu sein: bis zu 30 Jahre.
Was ist hier los? Zurück in die Zukunft? Die Archivleiterin bemerkt meine Verwunderung. Ihre Erklärung fand ich so interessant, dass ich dachte: Diese Idee verdient einen eigenen Praxistipp.
Unterlagen kommen normalerweise in dem Jahr ins Archiv, in welchem die Aufbewahrungszeit beginnt. Normalerweise steht dann auf dem Ordnerrücken die Einordnung nach dem Alphabet und vielleicht die Jahreszahl. Normalerweise ist das die Jahreszahl, wann die Patientenakte aus dem aktiven Betrieb ausgesondert wurde.
Dieses Archivsystem hat jedoch mögliche Nachteile. Zum einen sind Aufbewahrungszeiten durchaus unterschiedlich. Und zum anderen kommt es vor, dass ein Patient innerhalb der zehn Jahre nach Abschluss seiner Behandlung erneut in die Klinik kommt. Dann braucht man die Akte wieder. Kann man sie in diesem Fall schnell finden? Und wohin legt man sie nach Abschluss der erneuten Behandlung?
In der Praxis also kommt es im Archiv immer wieder zu Durchmischungen in den Aufbewahrungszeiten und in der Folge zur Durchmischung bei der Aufbewahrung. Damit ist nicht mehr auszuschließen, dass Unterlagen zu einem Zeitpunkt vernichtet werden, der nicht dem Zeitpunkt der geplanten Vernichtung entspricht, sprich: irgendwann anders. Vernichtet wird also möglicherweise zu früh oder zu spät.
Unterlagen in Archiven werden so lange aufbewahrt, wie sie für den betroffenen Geschäftsprozess von Bedeutung sind. Es kommt also zunächst auf die Verarbeitungstätigkeit an. Ist die für die Verarbeitung erforderliche Aufbewahrungszeit abgelaufen, lautet die nächste Frage: Gibt es darüber hinaus eine gesetzliche Aufbewahrungsfrist? Ist das der Fall und fällt die gesetzliche Frist länger aus als die aus dem Geschäftsprozess, sind die Unterlagen zum Zwecke der gesetzlichen Aufbewahrung separat zu kennzeichnen.
In eine Klinik kommen manchmal nach längerer Zeit Patienten, deren Akten bereits in den Archivraum gewandert sind. Normalerweise sind im Archivsystem Name und Geburtsdatum eines Patienten vermerkt, man sieht also, wenn es schon eine archivierte Patientenakte gibt. Dann wird diese Akte aus dem Archivraum geholt. Sie ist die Grundlage für die Dokumentation der erneuten Behandlung.
Kommt es zu keiner erneuten Behandlung, wird die Patientenakte in der Regel zehn Jahre nach Abschluss der Behandlung vernichtet. Mittlerweile, das sei ergänzend erwähnt, sind viele Kliniken dazu übergegangen, Akten bis zu 30 Jahre aufzubewahren. Denn: Nach Ablauf der zehnjährigen Aufbewahrungsfrist passiert es immer häufiger, dass Patienten die frühere Behandlung anzweifeln und Regressforderungen stellen. Dann möchte man sich mit der Originalakte wehren können.
In jedem Fall entscheidend ist, dass die Patientenakte dann, wenn sie nicht mehr benötigt wird oder es rechtlich geboten ist, vernichtet wird. Es gehört zu den zentralen Betroffenenrechten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO): Personenbezogene Daten dürfen nur so lange aufbewahrt werden, wie sie tatsächlich erforderlich sind. Um das zu gewährleisten, braucht es ein eindeutiges System der Daten sowohl nach den Anfangsbuchstaben im Alphabet als auch nach dem Datum der Einlagerung bzw. Vernichtung. Und genau deshalb ist die Idee mit den nach Jahren gegliederten farblichen Ordnern und Jahreszahlen in der Zukunft so spannend.
Sind Daten nicht mehr erforderlich, sind sie verlässlich zu löschen, die Löschung ist zu dokumentieren. Bleibt das aus, handelt es sich in der Regel um einen Verstoß gegen Vorgaben zu Betroffenenrechten. Für einen solchen Verstoß kann eine Geldbuße verhängt werden – bis zu 20 Millionen Euro respektive 4 Prozent des Vorjahresumsatzes der gesamten Unternehmensgruppe. Um das zu vermeiden, empfiehlt sich ein System, bei dem Fehler minimiert werden oder nahezu ausgeschlossen sind.
Es gilt, was meistens gilt: Das System funktioniert nur, wenn man es konsequent umsetzt. Gelingt das, bringt dieses Archivsystem einige Vorteile mit sich:
Mit diesem Archivsystem können Unterlagen also jederzeit gefunden und dem Jahr der Vernichtung zugeordnet werden. Wenn sich alle an die Regeln halten, sind Fehler so gut wie ausgeschlossen. Ergänzt wird das Ganze durch die Farben der Ordnerdeckel. Sie vermeiden, dass entnommene Akten aus Versehen einem anderen Jahrgang zugeordnet werden.
Für die Organisation des Archivs können Sie sich an folgenden Leitfragen orientieren: Werden alle Papierunterlagen so archiviert, dass sie nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist zuverlässig vernichtet werden? Und: Ist sichergestellt, dass Archivunterlagen nötigenfalls auch zu einem früheren Zeitpunkt jederzeit schnell auffindbar sind?
Viel Erfolg und gelungenes Archivieren!
Hier gibts den Praxistipp als kostenlosen PDF-Download.
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